Die neue DIN ISO 22361 bietet einen umfassenden Text zum Thema Krisenmanagement, der auf einer bewährten Norm basiert und für Organisationen aller Größenordnungen gedacht ist. In der Norm wird zwischen Krisen- und Ereignismanagement unterschieden und sie bleibt dabei nicht bei der Beschreibung der Aufbauorganisation stehen. Die Bedeutung der Führung in der Krise und der persönlichen Anforderungen wird hervorgehoben. Auch die Bedeutung der strategischen Entscheidungsfindung in der Krise wird betont. Die Anforderungen, die in der Krisenstabsarbeit in einem immer stärker werdenden digitalen Umfeld gelten, sowie Regeln für die Kollaboration an mehreren Standorten aber fehlen noch. Die neue Norm bietet zudem die Grundlage für eine Prüfung des Krisenmanagements durch die interne Revision oder einen externen Auditor.
Vorgeschichte der DIN ISO 22361
- Die Herausforderungen für das Krisenmanagement während der Ukraine Krise sind wesentlich komplexer, als während der Corona Pandemie
- Ohne die vorangegangenen Erfahrungen mit der Corona Pandemie hätten viele die Ukraine-Krise kaum oder nicht bewältigen können
- Der Stellenwert des Krisenmanagements in den Unternehmen hat sich durch die aktuellen Erfahrungen wesentlich verbessert
- Insbesondere die Bedeutung einer strukturierenden Methodik hat sich wesentlich besser durchgesetzt
- Die Herausforderungen des „Führens in der Krise“ ist klar von der „Führung in der Linie“ zu unterscheiden
- In der Arbeit der Krisenstäbe gibt es viele methodische Schwächen und regionale Unterschiede
- Es braucht deshalb einen international anerkannten Krisenmanagementstandart, der die methodische Vorgehensweise definiert und international vereinheitlicht
Die Basis der neuen Norm
Mit dem Inhalt dieser Norm wurde nicht bei null angefangen, sondern sie baut auf bestehenden und bekannten Inhalten auf. Zum Beispiel hat der «DVGW – Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V.» eine Grundstruktur für das Vorgehen im Krisenfall in der Energiewirtschaft3 erarbeitet und eine methodische Vorgehensweise verankert.
Die Schweizer Kollegen sind mit ihrem Führungsrhythmus den Deutschen weit voraus. Der dort angewandte Führungsrhythmus wird auch auf der Ebene der Armee angewendet. Durch das in der Schweiz angewandte Milizsystem besteht eine hohe Durchdringung des Führungsrhythmus und damit einer gut strukturierten Stabsarbeit auch auf der Managementebene der Privatwirtschaft.
Ein weiterer Vorläufer der neuen ISO-Norm sind die BSI-Standards 200-1, 200-2 und 200-3 des deutschen «Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik». In diesen Standards geht es hauptsächlich um «Business Continuity», also um die Geschäftsfortführung bei einem Vorfall. Dabei wird in dem BSI 200-4 auch kurz das Thema Krisenmanagement behandelt. Eine weitere Grundlage für das Thema sind die hilfreichen Publikationen4 des Kompetenz-Center Krisenmanagement des ASW-Bundesverbandes.
Eine wesentliche Grundlage der neuen Norm kommt von der CEN/TS 17091 des BSI (British Standard). Der Text der neuen DIN ISO-Norm stellt dabei eine stark überarbeitete Version der BSI-Norm dar5.
Inhalt der DIN ISO 22361
In der DIN ISO 22361 sehen wir die klassische Aufteilung moderner ISO-Normen:
Kapitel 1 «Anwendungsbereich» definiert den Gültigkeitsbereich.
Kapitel 2 enthält die klassischen normativen Verweisungen und Kapitel 3 die «Begriffe» und Definitionen. Weiter gelten für die Begriffe nach ISO 22300. Damit sollten die häufig zu beobachtenden begrifflichen Verwirrungen beendet sein.
Im Kapitel 4 «Krisenmanagement — Kontext, Grundgedanken und Grundsätze» werden die Kernkonzepte und Prinzipien des Krisenmanagements dargelegt. Besonders wertvoll ist hier das Kap. 4.2 mit den «Merkmale(n) einer Krise». In einer umfangreichen Tabelle über die «Wesentliche Merkmale von Notfällen und Krisen» werden mit den sechs Kriterien der «Vorhersehbarkeit», «Beginn», «Dringlichkeit und Druck», «Auswirkungen», «Einschätzung durch Öffentlichkeit, Medien und andere Interessenvertreter» und «Kontrollierbarkeit durch festgelegte Pläne und Verfahren» durch die erläuternden Texte zu jedem dieser Merkmale eine hilfreiche Unterstützung für die Abgrenzung zwischen Notfällen und Krisen dargelegt.
Insgesamt wendet sich das Kapitel 4 dem Thema der «Krise» aus einer sehr grundsätzlichen Perspektive zu. Hier liegt eine Überschneidung mit der «parallelen» Arbeit der zuständigen Arbeitsgruppe der ISO an der ISO 223606.
Der eigentliche operative Teil zum Krisenmanagement ist in der Norm in den Kapiteln 5 bis 9 enthalten. Kap. 5 beschreibt den «Aufbau einer Fähigkeit zum Krisenmanagement». Hier sind in Kap. 5.2 die «Elemente des Krisenmanagements» beschrieben. In Kap. 5.3 wird der « Krisenmanagement-Prozess» behandelt. Hier finden wir in Kap. 5.3.4.5 «Zusammensetzung und Verantwortlichkeiten des Krisenstabs (KS)» eine Beschreibung der verschiedenen Funktionen im Krisenstab, von der «Leitung» bis zur Funktion «Recht». Hier findet sich auch die «Administrative Unterstützung», die an anderer Stelle «Lagezentrum» oder «Assistenzteam» genannt wird.
Für die eigentliche Arbeit des Krisenstabes, d.h. die operative Vorgehensweise der Stabsarbeit, ist das Kap. 5.3.5 «Reaktion» von zentraler Bedeutung. Die Kernanforderung an die Vorgehensweise eines Krisenstabes im Ereignisfall ist es, sich nicht von der Dynamik der Situation in spontane Reaktionen treiben zu lassen, sondern den Prozess so zu gestalten, dass es möglich wird, aus der Reaktion zur eigenen Aktion zu gelangen. Diese Beherrschung erfordert einen systematischen Prozess, der auf der Basis einer klaren Analyse der gegebenen Situation, gerade in der Anfangs- oder Chaosphase, mit der Informationsbeschaffung und Sofortmaßnahmen die notwendige Grundlage legt.
Die grundsätzliche Anforderung besteht darin, im Ereignisfall die Arbeit des Krisenstabes zu steuern und ihm einen ablauftechnischen Rahmen zu geben. In einer Situation, in der der Stab eine konkrete Lösung zunächst nicht hat, sollen in hilfreichen Schritten die erforderlichen Einzelaufgaben, die die Basis einer geregelten Stabsarbeit sind, durchlaufen werden.
Die grundlegenden Anforderungen an die Reaktion werden in einem sog. Krisenmanagementzyklus beschrieben.
1 | Alarmierung, Beginn der Stabsarbeit |
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2 | Situation (Situationsbewusstsein) | Situation / Lage: Situationsbewusstsein, Kenntnis der folgenden Faktoren: Was geht vor sich? Auswirkungen, Probleme, Risiken Nach der Alarmierung sammelt der Krisenstab relevante Informationen für ein erstes Lagebild und koordiniert notwendige Ad-hoc-Maßnahmen. Anhand einer Auswirkungsanalyse definiert der Krisenstab Möglichkeiten für den besten, schlechtesten und wahrscheinlichsten Ereignisfortlauf. |
3 | Definition der allgemeinen Ausrichtung / Ziele | Welcher Endzustand wird gewünscht? Was ist die Zielsetzung der Krisenreaktion? Welche übergreifenden Werte und Prioritäten werden dabei als Grundlage und Leitfaden dienen? und legt dann die wichtigsten Ziele für die Krisenbewältigung fest. |
4 | Handlungsoptionen | Entwicklung von Handlungsoptionen, die Beurteilung der Optionen im Hinblick auf den gewünschten Endzustand. Der Krisenstab bewertet die möglichen Handlungsoptionen einschließlich der Vor- und Nachteile und der jeweiligen Herausforderungen. Das Ergebnis soll eine nach Prioritäten geordnete Liste möglicher Maßnahmen beinhalten. |
5 | Entschiedung | Das Treffen einer Entscheidung oder Wahl, die mit den Werten und den strategischen Prioritäten der Organisation übereinstimmen sollte. |
6 | Beauftragung von Maßnahmen (einschließlich Dokumentation) | Unter Berücksichtigung des Gesamtziels, der priorisierten Optionen und der verschiedenen funktionalen Perspektiven definiert und beauftragt der Krisenstab die erforderlichen Maßnahmen zur Bewältigung der Krise (inkl. Verantwortung und Termine). |
7 | Überprüfung / Nachverfolgung | Eine ständige Nachverfolgung der Umsetzung und der Effektivität von Maßnahmen, die zu einer möglichen Anpassung führt, vervollständigt den Krisenmanagementzyklus. |
8 | Wiederherstellung / Abschluss Sabsarbeiet | Zur Wiederherstellungsphase gehört die Bewältigung der Auswirkungen einer Krise und die Rückkehr zur „Normalität“ bzw. die Anpassung an neue Umstände, insbesondere, wenn nach der Krise große Veränderungen stattgefunden haben. |
Das Kapitel 6 beschreibt dann die Qualitäten, die jemand mitbringen sollte, der in einem Krisenstab tätig ist. Dieses Kapitel ist ein zentrales Element in der ganzen Diskussion über diese Norm.
Kap. 6.1.1: DIN ISO 22361
Die Fähigkeit, in einer Krise effektiv zu führen, sollte nicht als Folge der Ernennung oder des Status einer Person vorausgesetzt oder als selbstverständlich betrachtet werden (siehe 5.2.2). Manager, die ihren Ausbildungs- und Entwicklungsbedarf überprüfen, können die Krisenmanagementfertigkeiten als nützlich betrachten (siehe Bild 4). Es ist wichtig zu erkennen, dass manche Menschen nicht dazu geeignet sind, Krisensituationen zu bewältigen und das Krisenmanagement durchzusetzen, was im Rahmen ihrer Ausbildung und bei Übungen festgestellt werden kann.
Mit den Ausführungen in Kapitel 6 «Bedeutung der Führung in Krisen», greift die Norm einen sehr heiklen Punkt auf. Der Erfolg der Arbeit eines Stabes hängt massgeblich davon ab, dass es der Führung gelingt, die «Lösungsfindungskompetenz» der gesamten «Mannschaft» zu fördern. Welches Persönlichkeitsbild braucht jemand, der in einer Krisensituation, einer Situation, in der er keine Lösung weiss, trotzdem sein Team zum Erfolg führen kann? Das ist wohl die wirkliche Kunst im Krisenmanagement. Nicht einfach nur irgendeine Checkliste abzuarbeiten, sondern mit dem Krisenstab zu einer vernünftigen und guten Lösung zu kommen. Anforderungen zum Beispiel wie «Emotionaler Intelligenz» sind für eine ISO-Norm schon eine ganz schöne Herausforderung. Die Anforderungen sind in der obigen Abbildung im Detail aufgelistet.
Die Anforderungen, die in der Abbildung dargestellt werden, finden sich in dieser oder ähnlicher Form in der Managementliteratur zum Thema «Führung in Krisen»7 wieder. Die Behandlung dieses Themas ist stark von den Erfahrungen in der Luftfahrt geprägt, die gezeigt haben, dass eine zu autoritäre Führung in der Person des Flugkapitäns zu einer Reihe von Unfällen geführt hat, die bei einem anderen, partizipativen Führungsverhalten hätten vermieden werden können. Die in der Luftfahrt entwickelten Vorstellungen des «Crew Ressource Management»8 ist ursprünglich eine Schulung für Luftfahrzeugbesatzungen, welche die nicht-technischen Fertigkeiten schulen und verbessern soll, um Flugunfällen aufgrund menschlichen Versagens vorzubeugen. Dabei geht es um Kooperation, situative Aufmerksamkeit, Führungsverhalten und Entscheidungsfindung sowie die zugehörige Kommunikation9.
Das besondere Verdienst des Kapitels 6 über die Führung in Krisen besteht darin, dass hier Vorgehensweisen und Anforderungen beschrieben werden, die einerseits für eine erfolgreiche Krisenbewältigung erforderlich, andererseits aber von der klassischen Führung in der Linie zu unterscheiden sind. Eine selbstkritische Betrachtungsweise des eigenen Verhaltens in ähnlichen Situationen könnte dazu kommen, dass man selber (auch ich) den dort gestellten Anforderungen nicht immer gerecht wurde. Der Text der Norm setzt hier einen hohen Massstab, wie z.B. in Kap. 6.1.1 Abschnitt 4:
Die Führung benötigt exzellente zwischenmenschliche Fertigkeiten wie Konsensbildung, Teamarbeit, Flexibilität, Kommunikation und die Fähigkeit, innerhalb der bestehenden Zeitvorgaben Optionen zu finden. Führungskräfte müssen mit den Unsicherheiten, die Krisen mit sich bringen, umgehen können und in der Lage sein, eine Organisation kohärent durch sehr verworrene Situationen zu führen.
Im Kapitel 7 beschreibt die Norm die strategische Entscheidungsfindung im Krisenfall. Die Norm wiederholt hier insbesondere in der Abbildung 5 «Strategische Entscheidungsfindung in der Krise» die sechs Elementen aus dem Kapitel 5.3.5 «Reaktion».
Kritisch könnte man anmerken, dass die Abbildung 5 eigentlich besser in das Kapitel 5.3.5 passen würde10. Der besondere Wert von Kap. 7 liegt aber in der deutlichen Betonung der Schwierigkeiten der Entscheidungsfindung. Dabei werden nicht nur die Faktoren benannt, „warum Entscheidungsfindung herausfordernd sein kann“, sondern es werden auch die „Dilemmata“ (Kap. 7.3), „Probleme bei der Entscheidungsfindung“ (Kap. 7.4) und „Effektive Entscheidungsfindung“ (Kap. 7.5) angeführt. Damit soll erreicht werden, dass
Die Organisation die Entscheidungsträger für die Herausforderungen sensibilisieren (sollte), denen sie gegenüberstehen, sowie für die Instrumente und Techniken, die ihnen zur Verfügung stehen, um mit der Unsicherheit umzugehen und das Potenzial für individuelle oder kollektive Entscheidungsfehler zu verringern.
Der aufgezeigte Ablauf bestätigt die Vorgaben der verschiedenen bisher vorhandenen Vorgehensweisen. Es ist zu erwarten, dass mit der Verankerung dieser Vorgehensweise in einer ISO[1]Norm auch auf internationaler Ebene die Diskussionen darüber beendet sind, ob und wenn ja einer solche Vorgehensweise definiert werden sollte.
Der Krisenstab ist ein Organ, das in einer unklaren Situation eine strategische Entscheidung finden muss; und das meist auf der Basis von unvollständigen Informationen. Überraschenderweise sind die Entscheidungen, die ein Krisenstab auf einer geringen Informationsbasis treffen muss, oft besser, als wenn man stundenlang auf fehlende Informationen wartet. Das Element der Intuition spielt in solchen Situationen also eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Das Thema des Kapitel 8 «Krisenkommunikation» ist nicht überraschend ebenfalls ein wichtiges Thema. Die Ausführungen in der neuen ISO-Norm sind dazu als aktueller «State-of-the-art» zu verstehen, sie sind aber im Vergleich zu den restlichen Inhalten wenig progressiv. Grundlegend dazu ist die Kernaussage in Kap. 8.1, dass
Effektive Kommunikation ist eine Schlüsselkomponente für erfolgreiches Krisenmanagement und ein wesentlicher Bestandteil der Reaktion der Organisation auf Krisen. Sie umfasst die interne und die externe Kommunikation, die zur Unterstützung der Krisenmanagementfunktion entwickelt und verwendet wird.
Krisenkommunikation positioniert die Organisation als zentrale Informationsquelle, vermittelt, dass sie die Situation unter Kontrolle hat, und gibt den Beteiligten Sicherheit.
Im letzten Kapitel (Kapitel 9) geht es um Schulung, Validierung und Lernen aus Krisen. Das ist der klassische PDCA-Zyklus (Plan Do Check Act), angelehnt an die Grundstrukturen der modernen ISO-Normen.
Fazit und kritische Anmerkung zum jetzigen Stand
Es ist zu wünschen, dass diese Norm weit verbreitete Akzeptanz finden wird. Doch das wird wohl nicht ohne Friktionen ablaufen. Denn die neue Norm lenkt den Fokus der Betrachtung weg von der Frage der Aufbauorganisation hin zur Ablauforganisation.
Zusammenfassend kann man über die neue DIN ISO 22361 sagen, dass der Entwurf ein umfassender Text zum Thema Krisenmanagement darstellt, der auf einer bewährten britischen Norm basiert und deren Normen für Organisationen aller Größenordnungen anwendbar sein können.
In der Norm wird klar zwischen Krisen- und Ereignismanagement unterschieden und sie bleibt dabei nicht bei der Beschreibung der Aufbauorganisation stehen. In unserer Beratungspraxis erleben wir häufiger, dass interne hierarchische Diskussionen die Einführung oder Verbesserung eines Krisenmanagementsystems erschweren. In der aktuellen Situation, die durch die Erfahrungen mit der Stabsarbeit während der Corona-, der anschliessenden Lieferketten- und schliesslich der Ukrainekrise geprägt ist, haben sich vielfach die praktischen Erfahrungen mit der methodenorientierten Stabsarbeit durchgesetzt. Dabei haben sich gute Führungsstrukturen als besonders erfolgreich erwiesen.
Durch die neue Norm DIN ISO 22361 wird Bedeutung der Führung in der Krise und der persönlichen Anforderungen stark hervorgehoben. Auch die Bedeutung der strategischen Entscheidungsfindung in der Krise wird in der neuen Norm betont. Die dort niedergelegten Grundsätze der Entscheidungsfindung korrespondieren stark mit dem Führungsrhythmus.
Die neue Norm lässt aber auch noch Handlungsfelder offen. Eine besondere Stärke des Krisenmanagements ist die Möglichkeit zur Verwendung einer Vorgehensweise in einer unbekannten und sehr stark fordernden Situation. Der Aspekt der „Lösungsfindung in einer unbekannten Situation“ ist in der Norm angedeutet, könnte aber bei den Herausforderungen noch stärker herausgearbeitet werden.
In den Krisen der jüngsten Zeit haben die Unternehmen viel Erfahrung mit der digitalen Krisenstabsarbeit sammeln können. Die modernen Anforderungen an ein digitales Krisenmanagement bzw. einen Remote Betrieb werden bisher nicht berücksichtigt. Sie sollten bei der Weiterentwicklung der Norm berücksichtigt werden. Welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten ergeben sich aus der Digitalisierung des Krisenmanagements?
Eine weitere Herausforderung besteht in der Internationalisierung des Krisenmanagements. Es müssen Regeln dafür geschaffen werden, wie die Kollaboration an mehreren Standorten erfolgen soll. Was muss lokal geregelt oder zentral koordiniert werden? Gibt es dafür Vorgehensweisen und wie können die definiert werden?
Nächste Schritte
In den vergangenen Monaten wurden im Rahmen der ISO der vorliegende Entwurf der ISO DIS 22361 in den zuständigen Gremien der unterschiedlichen Ländern Kommentare und Änderungsvorschläge eingeholt, in der Arbeitsgruppe WG 9 diskutiert und über Änderungswünsche abgestimmt. Die finale Version des Textes steht nun zur Verfügung und es kann damit gerechnet werden, dass die Norm in den nächsten Monaten verabschiedet wird.
In der Arbeitsgruppe Krisenmanagement der RMA (Risk Management & Rating Association e.V.) wird aktuell ein Leitfaden zur Umsetzung der ISO 22361 erstellt. In diesem Kompendium werden dann für jeden Absatz der Norm die praktischen Anforderungen in drei Abstufungen aufgeschlüsselt. Zur Revision kann man dann die aktuelle Situation an der Norm spiegeln.
Da es bei einer Bewertung nicht nur Schwarz oder Weiss gibt, haben wir uns aus der Informatik die Reifegradanalyse geliehen. So kann man für jede Anforderung auch einen Reifegrad definieren. Da die Norm noch nicht verabschiedet ist, kann man sie natürlich noch nicht auditieren, aber es gibt bereits ein grosses Interesse an den Pre-Audits.
Ausblick
Für die Aufarbeitung der aktuellen Situation sind die folgenden Punkte relevant:
- Die Herausforderungen für das Krisenmanagement einer Organisation während der Ukraine Krise sind wesentlich komplexer als während der Corona Krise.
- Ohne die Erfahrungen/Learnings durch die Corona Krise hätten die Herausforderungen durch die Ukraine Krise die Unternehmen wesentlich schwerer getroffen.
- Der Stellenwert des Krisenmanagements in den Unternehmen und Organisation hat sich durch die Erfahrungen deutlich verbessert.
- Insbesondere die Bedeutung einer strukturierenden Methodik hat sich durchgesetzt.
- Die Herausforderungen des „Führens in der Krise“ ist deutlich von der „Führung in der Linie“ zu unterscheiden.
- Es gibt noch ein Leben im Unternehmen/Organisation außerhalb des Krisenraumes und nach der Krise.
Für die Zukunft ist damit zu rechnen, dass Krisenmanagementsysteme sich an den Anforderungen der ISO 22361 ausrichten werden. Dier Erfahrungen mit den aktuellen Krisen in diesen stürmischen Zeiten wird die Grundlage dafür bieten, dass die Führungsmethodik sich durchsetzen und in geeigneten Handbüchern auch in angemessener Weise unterstützt werden wird.
Moderne Krisenmanagement Tools werden die Möglichkeiten der Digitalisierung über Alarmierungslösungen hinaus nutzen und in einem „Verbund der Systeme“ verknüpft werden. Damit wird die Grundlage geschaffen, um den Anforderungen des modernen Krisenmanagements mit seinen enormen Herausforderungen gerecht werden zu können.
Schließlich bietet die neue Norm ISO 22361 die Möglichkeit, den Umsetzungsgrad seiner Anforderungen an einem international anerkannten Standard messen und auditieren zu können. Die Diskussion mit dem Argument, „wir haben doch alles“ könnte damit beendet werden.
1 Dr. jur. Klaus Bockslaff LL.M. (Ind.) ist erfahrener Risiko- und Krisenmanager und Geschäftsführer der Verismo GmbH, Küsnacht und Verismo Consulting GmbH, Mannheim. Er nahm als „benannter Experte“ der SNV (Schweizer Normen- Vereinigung) an den Verhandlungen der ISO zur Entwicklung der neuen Norm zum Krisenmanagement DIN ISO 22361 teil. Zudem leitet er den Arbeitskreis Krisenmanagement der RMA. Dieser Arbeitskreis arbeitet derzeit an einem Leitfaden zur Umsetzung der ISO 22361.
2 Der Text der deutschen Norm findet sich bei: https://www.beuth.de/de/norm/din-en-iso-22361/357117954
3 Es handelt sich um die folgenden Normen:
- Sicherheit in der Stromversorgung, S 1001
- Sicherheit in der Gasversorgung – Organisation und Management im Krisenfall DVGW G 1002
- Sicherheit in der Trinkwasserversorgung DVGW W 1001
4 https://www.asw-bundesverband.de/kompetenzen/krisenmanagement/
5 Die Vorgeschichte und den aktuellen Status hat der Convenor des zuständigen ISO Arbeitsgruppe Mr. Kev Brear in einem sehr sehenswerten Interview unter dem Titel „Crisis 2030: Are we ready?“ dargestellt.
6 Derzeit gehen die Diskussionen darum, wie die Inhalte der ISO 22360 erhalten und es nicht mit der ISO 22361 zu Überschneidungen kommt.
7 Verwiesen sei hier nur auf: Laurent F. Carrel, Leadership in Krisen, Wiesbaden 2010; Rolf Wunderer, Führung
und Zusammenarbeit, Köln 2009; Margot Morrell, Stephanie Capparell, Shackletons Führungskunst, Hamburg
2008
8 Barbara Kanki, Jose Anca, Thomas Chidester, Crew Resource Management, 3rd Edition, 2019
9 https://de.wikipedia.org/wiki/Crew_Resource_Management
10 Dies wurde während der Verhandlungen der ISO Arbeitsgruppe auch angeregt, letztendlich aber verworfen.