Im Mai dieses Jahres haben Klaus Bockslaff und Martin Schnauber an der Jahrestagung der Plattform e. V. – Menschen in komplexen Arbeitswelten mit einem Vortrag unter dem Titel „Führung im Krisenmanagement nach DIN ISO 22361“ teilgenommen. Nun hat die Plattform e. V. einen Tagungsband mit einer Dokumentation aller Beiträge herausgebracht. Dieser kann auf Amazon als E-Book oder Taschenbuch bestellt werden. Den Beitrag von Klaus Bockslaff und Martin Schnauber finden Sie untenstehend und hier zum Downlaoad. Zielsetzung und Inhalt der ISO 22361 Die neue Norm richtet sich im Wesentlichen an das Management mit strategischer Verantwortlichkeit. Die Betonung der neuen DIN ISO 22361 liegt in ihrer Methodik und in der grundsätzlichen Frage „Wie gehe ich in einer Krise vor? Wenn ich nichts mehr habe, habe ich dann wenigstens eine Vorgehensweise, eine Grundstruktur?“ Zielsetzung bei der Entwicklung der ISO 22361 im Zeitraum September 2019 bis November 2022 war es, für Organisationen jeglicher Art eine Orientierungshilfe für eine vorbildliche Vorgehensweise zum Krisenmanagement zu geben. Die strategischen Entscheidungsträger sollen dabei unterstützt werden, eine „Befähigung zum Krisenmanagement“ aufzubauen und zu erhalten. Dies gilt für alle Phasen des Krisenmanagements: von der Planung, dem Betrieb bis zur ständigen Verbesserung. Die Norm soll sowohl bei der Entwicklung der Fähigkeit einer Organisation, ein Krisenmanagement zu betreiben helfen als auch das Verständnis der Zusammenhänge erläutern. Die Herausforderungen des Krisenmanagements bis hin zum Erkennen der Komplexität, die auf ein Krisenteam im Einsatz zukommen, werden ebenso beleuchtet, wie die erfolgreiche Kommunikation während einer Krise und das Lernen aus der Krise. Aufbau einer Fähigkeit zum Krisenmanagement Um in einer beliebigen Organisation (Unternehmen, Behörde, Körperschaft des öffentlichen Rechts, Stiftung, Verein, Institution, etc.) eine Fähigkeit zum Krisenmanagement aufzubauen und zu erhalten, sind einige Elemente des Krisenmanagements und der Krisenmanagement-Prozess festzulegen und zu beschreiben. Führung ist nicht nur in der Krisenstabsarbeit gefragt, sondern eine wesentliche Aufgabe der obersten Leitung beim Aufbau, Betrieb und der Verbesserung des Krisenmanagements. Deshalb ist die Einbeziehung des Spitzenmanagements entscheidend, um die Zielsetzungen des Krisenmanagements und deren Zuschnitt mit der strategischen Ausrichtung und den Grundwerten der Organisation zu vereinbaren. Die oberste Leitung legt Strategie und Ziele fest und kommuniziert die Bedeutung und den Nutzen des Krisenmanagements top-down. Weiterhin ist die obere Leitung für die Aufbauorganisation verantwortlich, ernennt die notwendigen Funktionsträger, legt deren Ressourcen und Befugnisse fest und gibt Leitlinien für die Information und Kommunikation sowie die Qualitätssicherung und den Knowhow-Transfer im Nachgang zur Krisenbearbeitung. Die Organisation soll bei den Mitarbeitern eine Kultur fördern, die ausgelegt ist auf die Erkennung von organisatorischen Risiken durch Meldung von kleineren Vorkommnissen, die eskalieren können (Steigerung des Risikobewusstseins und der Resilienz), um das Engagement für das Krisenmanagement zu erhöhen. Das bedingt eine offene Kommunikation von Visionen, Zielen und Vorgaben sowie zugehörige Schulungen und Übungen. Die Entwicklung des Bewusstseins, der Kenntnisse und Fertigkeiten führt zu einer positiven Einstellung zum Krisenmanagement. Hierzu sollen sowohl die reale Bearbeitung von Krisen als auch Schulungen und Übungen systematisch überprüft und ausgewertet werden. Dieses operationale Lernen führt zur ständigen Verbesserung der Fähigkeit zum Krisenmanagement. Im Krisenmanagement-Prozess werden Vorgaben zur Antizipation und Beurteilung sowie der Prävention und Schadenminderung für den Krisenfall gemacht. Für den Prozess sind die Bereitschaft der Krisenorganisation (Alarmierung und Verfügbarkeit), die Reaktion mit der Ablauforganisation, die Wiederherstellung (Rückkehr zur „Normalität“ unter Berücksichtigung strategischer Chancen mit Regeneration der Organisation und Plänen zur Weiterentwicklung) sowie die ständige Verbesserung mittels Debriefing, dem Lernen aus der Krise und der Umsetzung der Erkenntnisse zu beschreiben. Führung in der Krise Das Kapitel 7.3 beleuchtet die verschiedenen Facetten von „Führung in der Krise“. Es wird in einem Schaubild aufgezeigt, welche zentrale Führungsfertigkeiten und -eigenschaften für die Arbeit im Krisenteam benötigt werden, insbesondere für die Leitung des Krisenstabs. Aus dieser Zusammenstellung lässt sich für jede Funktion des Krisenstabs ein für die jeweilige Organisation spezifisches Anforderungsprofil extrahieren, welches bereits bei der Personalauswahl zur Besetzung der Funktion genutzt werden kann. Der Abgleich des Anforderungsprofils der jeweiligen Funktion mit dem Leistungsprofil des Kandidaten führt zu einer möglichst optimalen Besetzung der Funktion. Bei Bedarf kann weiterer Ausbildungs-, Schulungs- und Trainingsbedarf abgeleitet werden. Abb. 7.1: Fertigkeiten und Fähigkeiten zur Führung in der Krise Beispielsweise kann die bei G. Hofinger und C. Becker beschriebene Forderung „Bei Führungspersonen, zu deren Aufgaben Stabsarbeit gehört, sollten entsprechende Kompetenzen Teil der Auswahlkriterien sein oder gezielt entwickelt werden“ bei konsequenter Nutzung der Vorgaben aus der ISO 22361 erfüllt werden. Die Norm schreibt: „Die Fähigkeit, in einer Krise effektiv zu führen, sollte nicht als Folge der Ernennung oder des Status einer Person vorausgesetzt oder als selbstverständlich betrachtet werden. Manager, die ihren Ausbildungs- und Entwicklungsbedarf überprüfen, können die Krisenmanagementfertigkeiten als nützlich betrachten. Es ist wichtig zu erkennen, dass manche Menschen nicht dazu geeignet sind, Krisensituationen zu bewältigen und das Krisenmanagement durchzusetzen, was im Rahmen ihrer Ausbildung und bei Übungen festgestellt werden kann.“ Mit den Ausführungen greift die Norm einen sehr heiklen Punkt auf. Der Erfolg der Arbeit eines Stabes hängt maßgeblich davon ab, dass es der Führung gelingt, die „Lösungsfindungskompetenz“ des gesamten Krisenteams zu fördern. Welches Persönlichkeitsbild braucht jemand in einer Krisensituation, einer Situation, in der er keine Lösung weiß, um sein Team dennoch zum Erfolg zu führen? Das ist wohl die hohe Kunst im Krisenmanagement, nicht einfach nur irgendeine Checkliste abzuarbeiten, sondern mit dem Krisenstab zu einer vernünftigen und guten Lösung zu kommen. Anforderungen wie z. B. „Emotionale Intelligenz“ zu erfüllen, sind eine große Herausforderung. Strategische Entschiedungsfindung in der Krise m Kapitel 7.4 beschreibt die Norm die strategische Entscheidungsfindung im Krisenfall. Der besondere Wert dieses Kapitels liegt in der deutlichen Betonung der Schwierigkeiten der Entscheidungsfindung. Dabei werden nicht nur die Faktoren benannt, „warum Entscheidungsfindung herausfordernd sein kann“ sondern es werden auch die „Dilemmata, Verzögerung und Vermeidung von Entscheidungen“ und „Probleme bei der Entscheidungsfindung“ angeführt. Für die eigentliche Arbeit des Krisenstabes, d. h. die „Effektive Entscheidungs[1]findung“ ist die operative Vorgehensweise der Stabsarbeit, wie in Kap. 5.3.5 „Reaktion“ beschrieben, von zentraler Bedeutung. Die Kernanforderung an die Vorgehensweise eines Krisenstabes im Ereignisfall ist es, sich nicht von der Dynamik der Situation in spontane Reaktionen treiben zu lassen, sondern den Prozess so zu gestalten, dass es möglich wird, aus der Reaktion zur eigenen Aktion zu Weiterlesen